Wollen Sie eine steile These hören? Erinnern Sie sich an Watergate? Dann lesen Sie, Read your Lips!
Wie hier von Anfang an vertreten, ist an diesen seit Tagen durch die Medien geisternden Dokumenten mit dem angeblichen "Plan einer Verschwörung" des Ex-Bankiers Holenweger zur Absetzung des früheren Bundesstaatsanwaltes Roschacher etwas faul. Die Frage ist bloss: was?
Passieren Sie mit uns die Ereignisse der vergangenen Tage. Deren Kenntnis mit Stand per 10.9.07 abends (auf der Basis Tages-Anzeiger, 6.-10.9.; SF1, Arena vom 7.9.07, NZZ 6.-10.9.7; Weltwoche online, 5.-10.9.07) setzen wir allerdings voraus.
Sie haben die Kopien der Flipcharts von Ex-Bankier Oskar Holenweger (BH) online bei der Weltwoche und in Farbe im Tagesanzeiger (Printausgabe vom 10.9.07) gesehen. Nun prüfen Sie folgende wilden Spekulationen:
Wir fragen: Wieso hat BH bei der Niederschrift seine Sicht der Dinge nicht Notizpapier sondern Flipcharts anvertraut? Eine Flipchartseite ist teuer und unpraktisch, es blättert sich schlecht darin, zumindest wenn man alleine ist! Der mit BH befreundete und offenbar durch die Weitergabe von Originaldokumenten als Sprachrohr BHs legitimierte Nationalrat Christoph Mörgeli und andere Akteure wiesen wiederholt darauf hin, dass es sich bei den Notizen von BH um «grafische Lageanalysen eines verbitterten Generalstabsobersten, dessen Ehre und Bank von der Bundesanwaltschaft zerstört wurden» handle. Das Erstellen eines Flipcharts macht aber viel eher Sinn, wenn die Skizzen für mehr als zwei Augen bestimmt sind.
Wer einen Geheimplan entwirft, versucht üblicherweise alle Spuren zu verwischen, das liegt in der Natur der Sache. Die Dokumentation von Geheimnissen auf langlebigem Papier und die Anfertigung digitaler und damit beliebig reproduzierbarer Photographien ist daher prinzipiell äusserst unvorsichtig. Ausser, sie wären für die Oeffentlichkeit bestimmt.
Zur Geheimhaltung würde auch gehören, dass man wenigstens die Umstände der Entstehung allfälliger Dokumente verschleiert, wenn sie denn schon sein müssen. Wie kommt es nun, dass BH diese Flipcharts so deutlich sichtbar datiert hat? Nur der Ordnung zuliebe?
Wenn BH wirklich der ordnungsliebende Stratege ist, den die Datumsangaben suggerieren, wieso soll er dann spätere Zusätze nicht auch als solche gekennzeichnet haben? Gemäss Mörgeli ergänzte BH z.B. den mit „4.6.06“ datierten Bogen: das Stichwort „Moritz“ sei nicht am 4.6.06 sondern erst am 6.6.06 dazu geschrieben worden, an dem Tag an welchem Bundesrat Leuenbergers tatsächliche Involvierung bekannt geworden sei.
Woher weiss Nationalrat Mörgeli diese Details so genau? BH als alleiniger Autor müsste sie ihm gesagt haben. Wie aber kann sich BH so gut an Einzelheiten dieser Art erinnern, wenn er, auch gemäss Mörgeli, gleichzeitig von der Bedeutung anderer wesentlichen Details auf seinen Charts keine Ahnung mehr zu haben vorgibt, so z.B. dem Kürzel „BWG“.
Weiss BH überhaupt, was auf ‚seinen’ Charts steht? Ist er tatsächlich deren Verfasser? Kann man ihn befragen?
Wie kommt es, dass diese Flipchartskizzen Titel tragen, als stünden sie im Schatzplan eines Pfadfinderspiels? Stichworte wie „Verschwörung“ oder „eingekreist“? Solche Begriffe suggerieren Unbeteiligte als Zielpublikum, denn ein ‚Verschwörer’ weiss ja hoffentlich auch ohne Legenden, dass er bei einer ‚Verschwörung’ mit von Partie ist. Eine Geheimhaltung wird so jedoch von Anfang an arg sabotiert. Oder war sie gar nie vorgesehen?
Wieso sind die Flipcharts der Subkommission (SK) EJPD/BK der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission (GPK) nicht zugänglich gewesen – gut, sie hat sich wohl auch nicht allzusehr darum bemüht – tauchen dann aber, einmal in aller Leute Munde, sofort über verschiedene Kanäle äusserst medienwirksam in der Oeffentlichkeit auf? Könnte die Antwort sein, dass die SK absichtlich mit einem nur kurz präsentierten Köder auf's Glatteis gelockt werden sollte? Wann hat die SK erstmals von der Existenz dieser Dokumente erfahren? Jedenfalls nicht mehr rechtzeitig, so dass dies in den Bericht hätte einfliessen können. An die Deutschen Behörden war ein Rechtshilfegesuch gestellt worden. Wer hatte es verfasst? Wer hat es beantwortet bzw. wer hat der SK die Photos der Notizen gezeigt?
Und: Waren diese Flipcharts von Anfang an für ein grösseres Publikum bestimmt und deshalb auch so schnell veröffentlicht?
Wieso hat BH Photos dieser Flipcharts vom 6/06, wenn sie denn aus dieser Zeit stammen, bis zum 3/07 aufbewahrt und dann in Deutschland bei seinem Schleichgang ums Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg in einer Kamera auf sich getragen?
"Er soll, so ein Polizei-Sprecher gegenüber Agenturen, im März dieses Jahrs «stundenlang in verdächtiger Weise» um den Sitz des Landeskriminalamts in Stuttgart geschlichen sein." (NZZ)
Geschah dies tatsächlich, wie behauptet, um einen V-Mann auffliegen zu lassen? Auf jeden Fall ruft schon dieser ‚Tanz’ um's LKA in Stuttgart nach Entdeckung. Ein Versuch, die Notizen in den Kreislauf der Behörden einzuschleusen?
Wer in der SK hat dafür gesorgt, dass diese Flipcharts, obwohl nicht richtig im Bericht, doch mit in die Berichtspräsentation gelangten? Eine Frage, die sich ohne Indiskretion nicht beantworten lässt.
Wenn Sie bis hierher gelesen haben, verstehen Sie sicher die nächste Frage:
Gibt es vielleicht tatsächlich einen Geheimplan? Einen Geheimplan der nicht vom 6/06 sondern aus der Zeit zwischen 9/06 bis 3/07 (der letzte der vier Berichte - Aufsichtsbericht Ramos - auf die die SK ihre Arbeit stützen sollte, erschien am 18. September 2006; Oskar Holenweger wurde am 26. März 07 in Stuttgart kontrolliert) datiert? Ein Geheimplan der nicht von BH alleine sondern von Personen im Umkreis z.B. der SVP verfasst wurde? In welchem es darum geht, einen drohenden GPK-Bericht ins Leere laufen zu lassen, ein GPK-Bericht, dessen Publikation aller politischer Erfahrung zufolge etwa in der Zeit knapp vor den Wahlen erfolgen würde und der das Verhalten von Bundesrat Christoph Blocher in der Angelegenheit Roschacher in ein kritisches Licht stellen könnte? Wäre das ein ausreichendes Motiv?
Sie sehen,
all diese Ueberlegungen und Fragen liessen sich mit folgender hirnverbrannter Spekulation überraschend aber einleuchtend erklären:
Personen aus dem Umkreis von Christoph Blocher, möglicherweise ohne sein Wissen, aber mit einem grossen Interesse, den zu erwartenden Bericht der GPK zu diskreditieren, hätten anfangs 2007 beschlossen, der GPK pünklich zur Präsentation ihres Berichtes ein Kuckucksei unterzujubeln, für historisch gebildete: ein trojanisches Pferd. In diesem Kuckucksei würde eine vorgetäuschte Verschwörung stecken.
Das Wissen um eine solche mögliche Verschwörung wäre eine Versuchung, der die SK aufgrund ihrer politischen Zusammensetzung nicht widerstehen können würde. Ein eher blocherkritischer Kommissionsteil nicht, weil ihm der diffuse Verdacht aufgrund von
„Dokumenten von erheblicher Tragweite, politischer Brisanz und staatspolitischer Relevanz“ politsch sehr gelegen käme, ein eher blocherfreundlicher Kommissionsteil nicht, wenn er mit den Autoren der ‚trojanischen’ Flipcharts in Verbindung stünde, ja, dafür zuständig wäre, dieses ‚hohle Ross’ mit in des ‚Gegners Festung’ zu ziehen. Darauf würde es für die Autoren der Verschwörungklamotte ein Leichtes sein, diese als völlig unbedarftes, privates Elaborat eines frustrierten und sich um sein Lebenswerk betrogen fühlenden Generalstabsobersten zu entlarven. So könnte vom wesentlichen Inhalt des Berichtes der GPK abgelenkt werden bzw. dessen Wert relativiert werden.
Sollte diese wahnwitzige Spekulation zutreffen, würde sie einige Ungereimtheiten auf einen Schlag verständlich machen:'Schlich’ BH deshalb am 26.3.07 stundenlang auffällig um das Baden-Württembergische LKA in Stuttgart,
weil er gefunden werden wollte?Wurde deshalb die Oeffentlichkeit seit Ende August 07 mit teuren Inseraten mit dem Begriff
„Geheimplan“ sensibilisiert, weil es ihn tatsächlich gab, nur nicht in der erwarteten Form?Ist deshalb „Verschwörung“ auf grossem Papier gut lesbar festgehalten, in einer
Schrift wie die Sonderangebote im Supermarkt, weil es jeder lesen soll?Sind deshalb die Charts von BH
als „Verschwörung“ angeschrieben, im wahrsten Sinne des Wortes, weil es jeder begreifen soll?Sind sie deswegen der SK nur kurz im letzten Moment vorgestellt worden? Sollte sie das ‚Geschenk’ bloss in seiner Verpackung bestaunen, ja,
sollte sie das 'trojanische Pferd' ohne detaillierte Untersuchung in Empfang nehmen? Ging sie dem Geheimplan prompt auf den Leim?
Waren deswegen Kopien und Originale (Flipcharts oder Photos?) für Nationalrat Christoph Mörgeli sofort zu haben,
wurden sie deswegen der Weltwoche so rasch zugespielt, und von dieser - übertölpelt? - publiziert? Das Resultat einer geölten PR-Maschine, von langer Hand vorbereitet?
War deswegen ein Teil der Akteure für viele Beobachter so augenfällig
nervös, weil den Ereignissen eben tatsächlich ein Geheimplan zugrunde liegt?Nur wäre es dann nicht die mögliche Verschwörung, von welcher die Medien im Anschluss an die Berichtspräsentation der GPK fieberten, und auch nicht der Geheimplan, vor dem die SVP seit August 07 in ihren Inseraten warnte, sondern ein dritter, bisher tatsächlich geheimer Geheimplan, der nun erstmals in seinen möglichen Grundzügen aufgedeckt würde. Das hier entworfene Szenario ist hoch spekulativ, entstanden aufgrund von Informationen und Berichten in den Medien der letzten Tage, die der breiten Oeffentlichkeit durch Zeitung, TV und Internet frei zugänglich sind, aber es beantwortete erstmals auf schlüssige Weise einige der zentralen Fragen der Affäre.
Einige Fragen blieben allerdings offen, z.B.:Weshalb der komplizierte Umweg über Stuttgart und die Deutschen Behörden? War es nicht doch eine (missglückte) Einzelaktion?
Weshalb ein so riskanter Plan, wo doch der GPK-Bericht zwar Bunderat Blocher deutlich kritisiert, seinem Amt aber kaum ernsthaft bedrohlich werden wird? Weshalb sollten sich dafür mehrere Parteikader politisch opfern?
Sind die von den Deutschen Behörden beschlagnahmten Bilder identisch mit den von Christoph Mörgeli bzw. der Weltwoche publizierten Unterlagen? - Das weiss momentan niemand. Gemäss der zynischen Logik der Vorgänge wäre das Bekanntwerden einer Diskrepanz in den Tagen vor der Bundesratswahl nicht verwunderlich. Wer weiss hier worüber bescheid?
Viel Geld wurde in die Inseratekampagne zur Vorbereitung der Bevölkerung auf einen „Geheimplan“ investiert, weshalb wohl bloss?Oder ist der ganze H-Plan nicht doch letztlich das herbeiphantasierte Armageddon eines auf allen ihm wichtigen Ebenen seiner Existenz zutiefst verletzten Einzelnen? Die persönliche Tragödie eines modernen Hiobs?